Fotografie zwischen Propaganda und Dokumentation

Arbeit und Alter als Metaphern in der Öffentlichkeit

Arbeit und Alter als Kombination ist „in“, spätestens seit der Einführung der Rente mit 67 (als verkappte Rentenkürzung und/oder Zwang zu längerer Arbeit und dem Verlust von mehr selbstbestimmter Lebenszeit), die nach Hartz 4 der massivste neue negative Einschnitt in das Leben der Arbeitnehmer in Deutschland ist (Beamte sind von all dem so nicht betroffen).

Arbeit und Alter in der Fotografie

Arbeit und Altern ist als Kombination auch „in“ – aber anders.

Altern und Statistik

Altern als biologisches Gesetz und genetisches Programm – conditio humana – wird zunehmend als nicht erwünscht medial ausser kraft gesetzt und durch statistisch-prognostische Nebelbomben ersetzt. Dennoch taucht es als Thema immer wieder auf, aktuell im politischen Geschäft in der Pflege und um uns herum. Nur ist es eine schwierige Sache mit der Sterblichkeit und der Absurdität unserer Existenz.
Am schlimmsten sind die zunehmenden „Prognosen“, die durch statistische Hochrechnungen entstehen und dann sagen, dass die Menschen immer älter werden.

Das ist statistisch-mathematisch richtig und in der Wirklichkeit falsch. Was meine ich damit? Wenn jemand 10.000 Euro Rente erhält und der andere 1000 Euro Rente, dann verdient statistisch jeder 5500 Euro Rente. Das ist statistisch richtig aber entspricht nicht der Wirklichkeit.

Wenn ich die Menschen, die heute älter sind, hochrechne, dann sind rein rechnerisch manche statistischen Prognosen eindeutig: die Menschen werden danach mathematisch immer älter. Aber das sind Schmalspurrechnungen ohne den Wirt.

Bei diesen Untersuchungen werden nämlich weder neue Belastungen, die durch digitale Arbeitswelten entstehen, noch die Art und Weise des Alterns berücksichtigt, z.B.:

  • Sind dabei die erhöhten Strahlungen im Essen seit den Atomunfällen berücksichtigt?
  • Sind die mehr belasteten Lebensmittel berücksichtigt?
  • Sind Burnout und Depressionskrankheiten, die massiv zunehmen, berücksichtigt?

Eine der wenigen wirklich seriösen Studien formuliert das so: „“Die aktuellen Diskurse werden dominiert vom Topos der “fitten Alten” von heute. Aber gilt das in gleicher Weise für die Alten von morgen?… Wie ist z.B. der Gesundheitszustand der heute 45-jährigen im Vergleich zu dem Gesundheitszustand, den die heute 65-jährigen mit 45 Jahren aufwiesen?”

Aber selbst wenn dies berücksichtigt wäre, würde es nicht ausreichen. Denn Arme sterben früher nach anderen Statistiken (!?), so dass die zunehmende Altersarmut auch noch nicht berücksichtigt wurde, eventuell fehlende gesundheitliche Versorgung und vieles mehr. Und wie man bei FAKT erfahren konnte, hat heute ein junger Mann nur noch ein Zehntel der Dioxinmenge in sich, die ein junger Mann vor zwanzig Jahren hatte. Das ist alles in den Statistiken nicht drin.

Und es ist nicht gut für die jungen Männer von damals, die jetzt um die 45 Jahre sind und bis 67 arbeiten sollen…

Dennoch wird es – so meine Prognose –  eine zunehmende Propaganda von bezahlten „Forschern“ in den nächsten Jahren geben, die damit durch das Land ziehen, dass wir 100 Jahre alt werden – wenn wir nur der Statistik trauen und alles ausserhalb ihrer Statistik nicht berücksichtigen!

(Nachträge am 17. März 2013 und 3. Juni: Dass es so schnell geht, damit hätte ich allerdings nicht gerechnet, bitte klicken! und hier zeigt eine Auswertung des Programms 50plus die Wirklichkeit)

Googeln Sie einfach, wenn Sie dazu mehr wissen wollen, für diesen Artikel müssen diese kurzen Anmerkungen ausreichen.

Damit weiter im Text.

Arbeit

Arbeit bezieht sich bei mir hier auf Erwerbsarbeit, in der Regel fremdbestimmt und nur zum Gelderwerb. Es geht mir nicht vorrangig um Bilder der Arbeit in der bildenden Kunst sondern um die Bilder der Arbeit, wie sie auf Fotografien, auf Plakaten und in aktuellen Medien verwendet werden, um die heutige Situation wiederzugeben. Dabei geht es um den Arbeitsbegriff und das Verhältnis zum Altersbegriff, weil heute vielfach versucht wird, Alter jünger zu machen, um lebens-längeres/längliches Arbeiten zu legitimieren. Letztlich möchte ich an dieser Stelle noch auf das Märchen der Brüder Grimm zur Lebenszeit  hinweisen, das fast niemand kennt, obwohl es sehr gut und sehr weise ist.

Metapher

Damit ich nun direkt mit dem Thema beginnen kann, möchte ich noch ein Fremwort aus der Überschrift erläutern. Eine Metapher ist laut Definition „eine Form des bildhaften Sprechens, bei der die Wörter nicht in der eigentlichen, sondern in übertragener Bedeutung verwendet werden.“

Und so ist es wichtig und interessant  zu sehen, was bei den Wörtern Arbeit und Alter an Bildern gezeigt wird. Denn die Bilder haben alle direkt sichtbare und unterschwellige Botschaften.

Bilder als Botschafter

Welche Bilder sind aktuell wo zu sehen, wie relevant sind sie, und welche Botschaften haben sie?

Mit diesen Fragen im Kopf möchte ich dieses Thema etwas näher betrachten.
Zumutungen 1

Als ich aus dem Zug stieg und direkt vor mir das Plakat auftauchte, war für mich klar, was hier vermittelt wird. Ein älterer Arbeitnehmer sorgt für seine noch ältere Mutter. Der starke Mann auf dem Foto wird es schon schaffen, wird hier meiner Meinung nach unterschwellig suggeriert.

Der Staat hält sich fein raus und überlässt alle ihrem Schicksal, könnte man natürlich auch denken.

Welche Botschaft vermittelt dieses Plakat? In meinen Augen ist es ein manipulatives Werk, das einen völlig falschen Eindruck erweckt.

Aber das Ministerium hat ja noch mehr Motive im Programm, so dass Sie selber ihre Antwort finden können.

Politische Propaganda und die Demografisierung von Sozialabbau

Das ist übrigens Fotografie zu politischen Propagandazwecken. Fotografie war früher viel auf Plakaten und kommt nun langsam in grossem Stil dorthin zurück. Waren es meistens in den letzten Jahren Plakataktionen vor Wahlen so werden es aktuell immer mehr Plakataktionen als Mittel zur momentanen Aufmerksamkeitserzeugung. Und das Plakat im Bahnhof war sicher auch kein Zufall, weil es dort täglich tausende von Pendlern gibt.

Es gibt ein paar Untersuchungen, die direkt oder indirekt genau herausgearbeitet haben, dass Themen wie Altersarmut, Rente mit 67 etc., die für grosse soziale Ungerechtigkeit stehen, bewusst der Mantel der Demografie umgehängt wird, um von der Ungerechtigkeit abzulenken.

So wird die Rente mit 67 demografisch begründet obwohl das nicht stimmt, weil eine andere Politik mit anderen Schwerpunkten auch eine Rente mit 63 hätte einführen können.

Es kommt eben darauf an, welche Schwerpunkte ich politisch setze und was finanziert werden soll. Wenn es mein Schwerpunkt ist, Altern ohne Angst zu ermöglichen und viele Familien mit Kindern zu haben, dann setze ich andere Schwerpunkte als bei einer Gesellschaft, die lieber Steuergelder an „systemrelevante“ Banken abgibt ohne deren Gewinne sich zurückzuholen.

Aber das nur am Rande.

Nun wird ja aktuell das Thema „länger arbeiten“ politisch angepackt und fotografisch fein verpackt.

Propagandistische Fotowettbewerbe

Dazu dienen und dienten Fotowettbewerbe:

  • Es gab dazu einen Fotowettbewerb vom Bundesministerium für Arbeit. Dort spricht man von der „Neubewertung des Alters“ und meint nichts anderes als länger zu arbeiten, wenn ich dies richtig sehe. Der Fotowettbwerb ging in meinen Augen aber nach hinten los, weil er Siegerfotos hatte von Menschen, die gerne gearbeitet haben und die gerne auch selbstbestimmt leben wollen ohne fremdbestimmte Arbeit.
  • Der Internetadressenkampf zu diesem Thema wird gerade auch von der Bundesregierung geführt. So hat sie einmal die Adresse www.programm-altersbilder.de und einmal die Adresse www.erfahrung-ist-zukunft.de, um damit medial weitere Pillen zur Betäubung für die schweigende Aufnahme der Rente mit 67 umzusetzen(?).
  • Dann gibt es noch die Internetadresse www.altern-in-deutschland.de. Dort finden wir einen Fotowettbewerb, den das Bundesbildungsministerium von Frau Schavan ausgeschrieben hatte mit dem Titel „Neue Bilder vom Altern(n)“

Ich denke, diese vier Beispiele zeigen, wie systematisch dieses Thema politisch benutzt wird. Es gibt sicher noch mehr Fotowettbewerbe dazu. Und hier wird auch deutlich, warum ich von Propaganda spreche: „Propaganda bezeichnet einen absichtlichen und systematischen Versuch, Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zu manipulieren und Verhalten zum Zwecke der Erzeugung einer vom Propagandisten erwünschten Reaktion zu steuern“ – so die Definition in der Wikipedia.

Es geht eben darum, auch mit Hilfe der Fotografie Bilder in die Köpfe zu bekommen, die glauben machen, dass die Rente mit 67 notwendig und richtig sei, dass wir alle älter werden und dass alles nicht so schlimm ist. Wer´s glaubt ….!

Fotografische Parallelwelten neben der Propaganda

Aber Fotografie heute ist sehr oft dokumentarisch und digital und kann ergoogelt werden. So entstehen Facetten einer Realität ausserhalb der politischen Propaganda. Aber sie müssen durch das Nadelöhr von google, so dass auch dies Machtstrukturen ergibt, die hier aber nicht weiter erörtert werden.

Schauen wir uns doch einfach mal an, was Fotografinnen und Fotografen, die Teil der neuen gegoogelten Öffentlichkeit sind, dazu gemacht haben:

  • „Altern in Würde – Würde im Alter“ ist eine der besten Ausstellungen, die ich kenne. Es handelt sich um monochrome Fotos von der Fotogruppe 7,  die sich selbst kommentieren.
  • Joanna Nottebrock hat unter dem Titel „Fünfhundertvierundvierzig – Sieben Leben im Alter,  Sieben alte Menschen. Sieben Persönlichkeiten. Sieben Alltagsmodelle. Sieben Lebenskonzepte, die das Altsein veranschaulichen und verdeutlichen, was es ausmacht“ eien Fotoserie gemacht, die sehr viel aussagt.
  • „Vielfalt Alter“ nennt sich eine Ausstellung, die im Kloster Mariensee zu sehen war. „In Kooperation mit vier Studierenden der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Hildesheim und dem Haus kirchlicher Dienste in Hannover ist es der Projektleiterin von Altern gestalten, Sabrina Johann (Psychologin) gelungen eine einmalige Fotoausstellung zu gestalten, die die Vielfalt des Alters zum Thema hat.“
  • Sehr interessant ist auch immer noch „Rock n´old“. Dabei wird deutlich, dass erst nach der fremdbestimmten Arbeit mit der Verwirklichung der kleinen Träume das selbstbestimmte Leben im Alter anfängt.

Es gibt natürlich noch mehr im Netz. Diese Seiten sind eine Auswahl von mir und sind jederzeit durch Hinweise oder Kommentare ergänzbar.

Der neue Kampf um Bilder

Wenn Bilderwelten Lebenswelten sind und Wertungen auch durch Bilder im Kopf entstehen, dann wird der Kampf um das Bild, das man sieht, zunehmend politisiert. Der Vorteil der digitalen Welt ist aktuell die Parallelität von Bilderwelten.

Aber natürlich haben mit Steuergeldern bezahlte Fotowettbewerbe, die dann auch noch medienwirksam auf Kosten der Steuerzahler zur Verfügung gestellt werden, insgesamt meistens mehr an Aufmerksamkeit als dies bei anderen Webseiten der Fall ist.

Aber wie man an diesem Artikel sieht, hilft die Verlinkung auf andere Webseiten auch, so ein Thema sachgerechter und ausgewogener darstellen zu können und die Propaganda gerade in der Relation zu den anderen Seiten sehr schön sichtbar machen zu können.

Menschenbilder und Bilder von Menschen – Persönlichkeitsrechte im Widerspruch

Rudolf Stumberger hat in seiner hervorragenden Untersuchung „Klassen-Bilder II“ darauf hingewiesen, dass Sozialkampagnen gegen die zunehmende Armut, gegen Hartz 4 und andere Themen nicht mehr mit den Betroffenen festgehalten werden können. Die Stigmatisierung von Arbeitslosen und von Armut führt dazu, dass die echten Gesichter verschwinden und es dafür keine „empirische Entsprechung“ mehr gibt, „jedenfalls was sozialdokumentarische Fotografie anlangt.“

Schauspieler und Models, die Berufe simulieren, ersetzen in der fotografischen Darstellung der Welt die wirklichen Menschen.

Und durch diese Fotowettbewerbe, in denen die Menschen ihre Fotos mit ihren persönlichen Lebensumständen und ihren Gesichtern der Öffentlichkeit – meistens kostenfrei und unter Aufgabe der Rechte am eigenen Bild – zur Verfügung stellen, dreht sich dies alles faszinierenderweise wieder um.

Ganz im Sinne von Max Frisch „Der Mensch lebt den Widerspruch und zersetzt damit jede Ideologie.“

So kann die politische Propaganda in den Fotowettbewerben auf ein reichhaltiges Material zurückgreifen und dieses auch in Zusammenhänge bringen, die vielleicht oder tatsächlich mit dem ursprünglichen Sinn der Fotos nichts mehr zu tun haben.

Fazit

Der Kampf um die Köpfe ist in vollem Gange

Dieser Kampf wird zunehmend auch mit Fotos als Waffen für Manipulation und Propaganda geführt. Die alten Verführungstechniken kommen nun noch massiver in digitaler Form zum Einsatz.

Da zur Demokratie Transparenz gehört und zur Verführung die Entscheidung, ob ich verführt werden will oder nicht, hoffe ich, mit diesem Artikel das Thema etwas transparenter gemacht zu haben.

Text Version 1.2

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

2 thoughts on “Fotografie zwischen Propaganda und Dokumentation

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