Politische Fotografie hat nichts mit Portraits von Politikern zu tun

Heute befinden wird uns im Zeitalter der Fake News und der Umdeutung aller Werte. Ein gutes Wortbeispiel ist das Wort Deregulierung, das die Abschaffung sozialer Sicherheit meint. Und seitdem schreitet diese politische Vernebelung fort.

Auch 2019/2020 ist mit politischer Fotografie engagierte Fotografie gemeint, die bestehende soziale Entwickungen und Probleme öffentlich zeigen will, aber auch hier findet eine Umdeutung statt.

Dieter Hacker schrieb 1974 Gedanken über die deutschen Profifotografen auf, die 2019/2020 noch genau so in der Wirklichkeit anzutreffen sind: „Der Fotograf nimmt Stellung zur Wirklichkeit, wie sie ihm erscheint. Der Blick des Professional auf die Wirklichkeit gleicht dem der Nutte auf den Kunden. Er sucht sie nach Ausbeutungsmöglichkeiten ab. Der Profi steht immer zu Diensten. Aber nicht jedem. Selber ein charakteristisches Produkt unserer Gesellschaft, stellt er seine Fähigkeiten dem Teil der Gesellschaft zur Verfügung, der die Normen bestimmt. Da findet er das Geld und die Anerkennung.“

Ohne den Menschen zu beurteilen, lebt der Fotograf in diesem Beispiel davon, daß er funktioniert und Politiker so fotografiert, wie die Auftraggeber es wollen – genau so wie es Dieter Hacker beschrieben hat. Man muß dem Fotografen für seine Ehrlichkeit danken, mit der er dies alles hier so offen sagt und dokumentiert.

Opentable eben: „Selber ein charakteristisches Produkt unserer Gesellschaft, stellt er seine Fähigkeiten dem Teil der Gesellschaft zur Verfügung, der die Normen bestimmt. Da findet er das Geld und die Anerkennung.“

Das ist keine engagierte Fotografie und auch keine politische Fotografie im ursprünglichen Sinne.

Roland Günter hat in seinem Buch Fotografie als Waffe die drei entscheidenden Fragen gestellt, die für politische Fotografie weiterführend sind:

  • Wer hat Interesse an einer Darstellung der sozialen Verhältnisse?
  • Wer hat Interesse, Partei zu nehmen zugunsten der „Schwächeren“?
  • Wer finanziert diese Art von Fotografie?

Das sind die Leitfragen (man könnte auch von Leidfragen sprechen) für politische Fotografie.

Und hier ist die Stelle an der die Grenze verläuft.

Wer politische Fotografie im hier verstandenen Sinne betreibt – vor allem in der eigenen Gesellschaft – der kann damit kein Geld verdienen und eckt oft an (aber nicht nur).

Wer aber die Regierenden, die Politiker und die Herrschenden fotografiert und mit seinen dann veröffentlichten Fotos die herrschenden Verhältnisse stabilisiert, der kann damit richtig gutes Geld verdienen.

Und aus Sicht der Politiker und der beteiligten „Profis“ ist das Fotografieren der Herrschenden und Regierenden eben auch politische Fotografie – allerdings nicht im Sinne engagierter sozialer Fotografie, sondern wohl eher im Sinne unkritischer funktionaler Fotografie (aus Sicht engagierter Fotografie).

Wenn ich mir nun die Zeit von 1970 bis 2020 anschaue, dann kann ich feststellen, daß sich bei Profifotografen in ihrer Arbeitsweise und Haltung wenig geändert hat seit dem Text von Dieter Hacker, obwohl wir seitdem 50 Jahre länger in einer Demokratie leben?

Die neue digitale Freiheit ermöglicht zwar in Demokratien mehr öffentlich zu zeigen, aber die Herrschenden steuern die Suchmaschinen, so daß dies alles immer schwerer zu finden ist.

Wo es endet sehen wir jenseits unserer Demokratien. Am weitesten entwickelt ist dies in China, wo Wahrheit in Suchmaschinen wie Baidu gar nicht erst reinkommt sondern nur Propaganda und Popos.

Noch direkt brutaler ist es in vielen anderen Ländern.

Aber Macht wir eben nur durch Gegenmacht begrenzt – auch medial. Und für mediale Gegenmacht gibt es kein Geld in Deutschland.

Und weil man glaubt, was man sieht, sieht man das, was man glaubt.

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

3 thoughts on “Politische Fotografie hat nichts mit Portraits von Politikern zu tun

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