Meisterklasse Fotografie

Meisterklasse Fotografie von Paul Lowe

Richtig klasse diese Meisterklasse!

Je länger man in diesem Buch liest und schaut, desto weniger will man aufhören.

Denn das Buch ist sehr gehaltvoll. Paul Lowe leitet den Bereich Fotojournalismus und Dokumentarische Fotografie am Londoner College of Communication, University of the Arts London.

Es gelingt Paul Lowe hier etwas ganz Besonderes. Er setzt der Beliebigkeit des Fotografierens die durchdachten und gelebten Ansätze vieler guter Fotografinnen und Fotografen entgegen.

So kann man sich bei manchem seinen Teil denken und wird bei anderen Fotos und Personen erst zum Denken gebracht.

Die Fotos haben Rahmen und hier werden die Rahmen der Fotografierenden gezeigt: wie sie entstanden, worauf sie achteten und was weggelassen wurde. Dadurch wird auch deutlich, daß die Fotografie ein Medium ist und jeder einzelne mit seiner Art schon zum Teil des Geschehens wird.

Man muß begeistert über dieses Buch schreiben, wenn man nicht lügen will.

In seiner Einleitung schreibt er unter dem Titel Performative Aspekte des Bildes:

„Der Akt des Fotografierens kann als eine Art Performance betrachtet werden – der Pas de deux von Fotograf und Modell bei einer Porträtsession, der Körpereinsatz des Straßenfotografen oder die Theatralik des Landschaftsfotografen, der eine Großformatkamera mit Stativ benutzt und beim Blick durch den Sucher unter einem schwarzen Tuch verschwindet. Irgendwie ist Fotografieren auch wie Improvisationstheater, da zahlreiche Entscheidungen in Bezug darauf, wie und was fotografiert wird, in Echtzeit getroffen werden müssen. Das kann den formalen Bildaufbau einschließen, denn der Fotograf bewegt sich um das Motiv herum, und jede Veränderung von Abstand und Raum beeinflusst die endgültige Form des Bildes. So gesehen ist das Foto eine Art performativer Raum. Der Performance des Fotografierens wohnt eine Choreografie zwischen Fotograf, Motiv und Umgebung inne.“

Dann wendet er sich unterteilt nach Motiven den Fotografinnen und Fotografen zu. Besonders gelungen finde ich diese Mischung aus alt und jung, Lebenden und Toten, die zeigt, daß die Fotografie immer jung ist.

Manches ist auch eine Frage der Technik. So hat mich die Satellitenaufnahme von Mishka Henner sehr beeindruckt aus seiner Serie Coronado Feeders, einem Fleischpark in den USA. Man muß es nicht mögen aber es zeigt viel über uns in einem größeren Zusammenhang und genau diesen beschreibt Paul Lowe.

Aber wir finden auch Lutz und Alex sitting in the trees von Wolfgang Tillmans.

Dazu schreibt Lowe: „Wie zwei Tiere in freier Wildbahn, Kinder des Waldes, hockt dieses Paar auf den Ästen eines Baumes…“ Und dann erzählt er mit welchen Techniken Tillmans solche Fotos macht: „Tillmans glaubt an die Risikobereitschaft des Künstlers und an die Reaktion auf den Augenblick, ohne vorgegebene Ideen.“

Wie man damit dann ins Museum kommt verrät Lowe nicht. Ich vermute, das ist der Unterschied zwischen Können und Kennen.

Neben solchen lebenden und neueren Fotografierenden finden sich auch viele bekannte Namen aus der Vergangenheit.

Im Kapitel über Gesichter sehen wir so die Arbeitsweise von Julia Margaret Cameron von 1867 und von Bruce Gilden heute. Während Cameron die Schönheit des Einzelnen hervorhebt scheint Gilden eher ein Monstermacher zu sein. Der Unterschied zwischen alt und neu läßt sich dabei weniger vom Foto als von der vorhandenen Technik erklären.

So ist das Buch auch eine Zeitreise, die Zeitgeist, Technik und Zeitloses zeigt.

Sie merken schon an meinen Zeilen, daß das Buch zur Meinungsbildung und zum fotografischen Meinungsmachen anregt.

Er zeigt wie aus der Beliebigkeit des Fotografierens mehr wird und hat ein sehr gutes Panorama zeitgenössischer, zeitloser und zeitgebundener Fotografie in diesem Buch zusammengefaßt

Durch die Festlegung auf Motive als Themen ist auch ein technikbefreiter Zugang möglich.

Zugleich zeigt dieses Buch mir auch die Lebensversuche der beteiligten Fotografinnen und Fotografen, weil oft genug durch den Text und die Fotos hindurchscheint, wie die jeweiligen Personen versucht haben oder versuchen, mit der Fotografie eine Reflexion und/oder Abgrenzung zu ihren Themen und dem Leben auf dieser Welt zu finden, manche bewußt und manche eher unbewußt.

Das Buch ist wirklich gut.

Es ist bei Randomhouse im Prestel Verlag erschienen.

ISBN: 978-3-7913-8327-9

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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