Der neue Fotojournalismus und der neue Presseausweis

Als ich 2010 über den Tod des Fotojournalismus und die Zeit danach schrieb, war ein neuer Weg das Video.

Es wurde kein Bildersatz wie damals einige vermuteten.

Zwar sind Videos heute mit jedem Smartphone möglich und überall anschaubar aber sie ersetzen keine Texte und keine Fotos, wenn es mehr sein soll als Ereignis ohne Einordnung oder Fokussierung. Video ist eine andere Welt, die umgekehrt auch nicht durch Fotos abgedeckt werden kann. Richtige Videoreportagen sind aufwändig geblieben, weil sie gestaltet werden müssen und Fotojournalismus bleibt, weil Fotos eben nicht direkt ersetzbar sind. Darauf hat aus akademischer Perspektive nun auch Annette Vowinckel hingewiesen.

Was sich geändert hat ist die verbreitete Nutzbarkeit und das, was verkaufsfähig ist. Inszenierte Fotografie, photogeshopte Fotografie und unglaublich viele Verkaufsfotos sind dabei neben dokumentierenden Fotos.

Alles verändert in der sozialen Kommunikation hat der Einzug der visuellen Sprache. Fotos sind sprechen, denn heute tippt man für Wörter und für Fotos einfach im Smartphone, einmal auf die Tastatur und einmal auf den Auslöser.

Daneben gibt es die themenbezogene Fotografie und Reportage, die über den direkten Sprechwert hinausgeht.

Digital ist eben alles möglich.

Das ist sehr gut zusammengefaßt im Handbuch des Fotojournalismus zu finden.

Und so ist die Zeit danach heute eine Zeit voller Fotos und voller Treppenwitze der Weltgeschichte.

Auf einen speziellen Fall möchte ich aus aktuellem Anlass hier noch einmal hinweisen. Ich habe ja vor Jahren keinen Presseausweis von Freelens erhalten, weil ich nicht überwiegend mit Fotos Geld verdiente. Das fand ich sehr unfair, weil man doch ein Journalist sein kann auch wenn man sein Geld vielfach anders verdient. Das erhöht ja gerade die journalistische Unabhängigkeit.

Das interessierte aber sehr wenig Menschen. So wurde ich Publizist, also Selbstzahler. Der Publizist ist alles in einem, Wissenschaftler, Journalist und Schriftsteller:

„Der Publizist ist ein Journalist, Schriftsteller oder Wissenschaftler, der mit eigenen Beiträgen (Publikationen) – beispielsweise Analysen, Kommentaren, Büchern, Aufsätzen, Interviews, Reden oder Aufrufen – an der öffentlichen Meinungsbildung zu aktuellen Themen teilnimmt,“ so die wikipedia.

Jetzt sind wir vier Jahre weiter. Und da finde ich einen Artikel von Sascha Rheker, auf dessen Blog ich gerne lese, und Herr Rheker schreibt folgendes: „Zu sagen, daß der Pressesprecher von Monsanto natürlich Journalist ist und der Fotograf, der es sich mit Hochzeitsfotografie selbst finanziert hat, eine Reportage über die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln in Südamerika zu fotografieren, der ist, für die Herren auf den hohen Rössern, kein Journalist, das ist ein Schlag ins Gesicht des Fotojournalismus!“

Ja, das habe ich dem djv auf seiner Webseite schon vor Jahren geschrieben ohne Antwort zu erhalten.

Was mich damals schon betraf, betrifft jetzt immer mehr, aber mich nicht mehr.

Damals schrieb ich u.a. folgendes:

„Und tatsächlich, wer also vielfach und überwiegend journalistisch tätig ist,

  • indem er als Rentner/Arbeitsloser/Einkommensloser kontinuierlich einen Blog betreibt, auf dem Informationen aufbereitet werden,
  • an einer regelmässigen regionalen Zeitung mitarbeitet,
  • Bürgerfunksendungen produziert,
  • eigene Webmagazine und Publikationen aufbaut,
  • Bürger- oder Studentenzeitungen mit herausbringt,
  • als freier Journalist Artikel oder Internetbeiträge verkauft, aber davon nicht leben kann

und dies überwiegend und dauerhaft journalistisch tut, erhält nach der Logik der oben genannten Verbände keinen Presseausweis?

Ist das also keine professionelle Arbeit, weil sie nicht hauptberuflich ist?“

Der Treppenwitz der Weltgeschichte ist, ich habe zwar mehr als 1500 Artikel und noch mehr Fotos in den letzten Jahren publiziert und habe täglich im Schnitt ca. 5000 Leserinnen und Leser, aber einen Presseausweis von einer dieser Organisationen erhalte ich nicht.

So ist das in Deutschland.

Wenn ich es unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gebrauchsweisen betrachte, dann ist der Presseausweis ein Disziplinierungs- und Selektionsinstrument.

(Nachtrag:  Als ich diese Gedanken hier schrieb, wußte ich noch nicht, daß es schon wieder eine Neuerung gab und der Presseausweis ab 2018 nur noch der Abschottung der dienenden Medien dient. Das entscheidende Kriterium ist allein die Hauptberuflichkeit nicht die Unabhängigkeit und Blogger müssen draussen bleiben.)

Neue Zeiten bräuchten neue Antworten, aber umgekehrt ist es so, daß weniger Presseausweise weniger Zutrittsmöglichkeiten und mehr Kontrolle der Ausweisinhaber ermöglichen. Und man will natürlich auch durch exklusive Zugänge über Dinge  berichten dürfen, mit denen man Geld verdienen kann. Aber dann wären natürlich gerade die, die jetzt keinen erhalten, besonders darauf angewiesen….

Soziale Netzwerke und Blogs sind daher die Plattformen für die, die nicht dahin dürfen, wo die offiziellen Situationen stattfinden.

Damals arbeitete ich auch noch in der regionalen Berichterstattung, weil vor Ort die soziale Lebensfront ist, auch fotografisch.

Bei der Stadt Wuppertal hat man mich damals sogar bewußt nicht in einen Verteiler aufgenommen, damit ich nicht zu offiziellen Veranstaltungen kommen kann, um Fotos zu machen. Da hatten/haben einige Angst vor der Kraft meiner Fotos, weil sie unberechenbar ehrlich und entlarvend sind. Ja so war das und so ist das. Mit Presseausweis hätte ich mir das erzwingen können.

Und so konkret sind Diskriminierung und Ausgrenzung, obwohl dieselben Menschen woanders so tun als ob sie dies nie machen würden.

Erwischt!

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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