Made in Germany

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Als Leonard Freed 1970 sein Buch über seine Reisen durch und seine Eindrücke von Deutschland veröffentlichte, blieb dieses Buch eher unbeachtet. Das erinnert an Robert Frank.

Diesen Aspekt finde ich sehr interessant.

Ist es so daß der Spiegel der Gegenwart von den Zeitgenossen eher abgelehnt wird?

Sie sind in ihrem Leben und sie leben in einer Wirklichkeit, aus der sie oft genug entfliehen wollen?

Und nun zeigen Fotografien genau diese Momente ihrer eigenen Existenz, die real sind und nicht ihrem Wunschbild entsprechen?

Zeitgeist fotografieren bedeutet Ablehnung zu provozieren?

Ich weiß es nicht aber es steckt irgendwie da drin.

Zumindest 30 bis 50 Jahre später sieht es dann anders aus.

Die „Neuentdeckung“ von Leonard Freed und die Ausstellung 2013 holten seine Fotos zumindest noch einmal ans Licht der Gegenwart.

Und das Buch dazu hat es in sich. Der eine Band ist ein Neudruck und der andere Band zeigt Fotos danach aus einem nie gedruckten Buch mit dem Titel Made in Germany.

Das Ganze wurde dann zusammengepackt und unter dem Titel des nie erschienenen Buches publiziert. Klug und gut!

Für mich ist dieses Buch eine große Entdeckung, denn es zeigt die Welt aus der ich komme. Es gibt zwar keine Fotos von Remscheid, Solingen und Wuppertal aber es gibt Fotos aus der Zeit und der Welt, die an anderen Orten in Deutschland offenkundig ebenso war.

Weil Herr Freed aber auch dort war wo die kleinen Leute nicht hinkommen, gibt es dort auch Fotos die die Parallelwelten zeigen. Und es gibt dort die Fotos der Themen, die immer totgeschwiegen wurden.

Das Foto mit der Frau, die ihre Auschwitznummer am Unterarm hat. Dies wurde hier totgeschwiegen und auch ich habe die erste Frau erst in Israel getroffen – nicht in Deutschland.

Die kleinen Arbeitermilieus mit ihren Aufstiegsmöglichkeiten, die von vornherein beschränkt waren auf Erfolg durch Gefolgschaft. Und die Reichen, die so weitermachten wie bisher und sich in ihren Prachtvillen zeigten.

Das habe ich damals nicht gesehen, ich sah die ärmlichen Verhältnisse und die Versuche, sich mit viel bezahlter Arbeitszeit da rauszuarbeiten.

Damals zwischen 1960 und 1980 klappte das, danach nicht mehr, je mehr Neoliberalismus, Agendawahn und Umverteilung dominierten. Das Zauberwort Überstunden für Wohlstand wurde danach ersetzt durch Zeitarbeit für nie mehr Wohlstand und den Sieg der Reichen ermöglichte die rot/grüne Riege um den „Genossen der Bosse“. Er war der Verräter der deutschen Sozialdemokratie und brach damit der Arbeiterbewegung und den kleinen Leuten das Genick.

Kann man Erfolg haben mit Fotos aus der Zeit, in der man lebt, wenn man Zeitgenossen fotografiert?

Ja natürlich, denn es kommt ja darauf an. Wer die Erfolgreichen schön fotografiert, der hat Erfolg bei denen, die hier sozial den Ton angeben. Wer die Wirklichkeit der kleinen Leute fotografiert und die Alltagswelt, der hat ihn nicht. Ich kenne nicht ein Fotobuch, das damit erfolgreich wäre.

Aber dennoch sind es diese Bücher, die mich berühren. Das Buch von Leonard Freed ist genau so ein Buch. Es berührt mich, weil es meine Jugend zeigt – sozial und vom Zeitgeist – und viel mehr aus der Zeit, das ich nie gesehen habe. Es sind Fotos, die dokumentieren und erzählen über die Menschen, die darauf zu sehen sind. Das Dokumentierende dominiert und erzählt.

Auch die 68er sind spurlos an mir vorüber gegangen. Man findet sie auch auf seinen Bildern kaum. Die Gesellschaft war durch Willi Brandt medial etwas offener geworden aber die sozialen Strukturen vor Ort waren noch so ausgrenzend wie sie es heute auch noch sind. Der Aufstieg des kleinen Mannes ist ja fast ausschließlich die Beamtenlaufbahn. Damals wurden viele Beamtenstellen geschaffen und deshalb glaubten viele an den Aufstieg des kleinen Mannes. Diese Illusion brach dann zusammen als kaum noch neue Beamte eingestellt wurden und ganze Generationen von Akademikern seitdem ihr Dasein in gebrochenen Arbeitsverhältnissen fristen müssen.Und Hartz 4 gab dann den Menschen den Rest.

Seine Fotos zeigen eine Welt, die bis heute vorhanden ist. Drumherum haben sich neue parallele Welten gebaut, je mehr offene Grenzen und Ausländer und Religionen, desto mehr parallele Welten. Und weil die Integration nicht klappt spricht die Politik im Neusprech lieber von Communities: in der islamischen, arabischen, asiatischen etc. Community. Hört sich so nett und aufgeklärt an, ist aber Quatsch mit Soße, weil es nur der neue verbale Vorhang für versagte Anpassung in Deutschland ist.

Daneben gibt es die, die so tun, als ob es ein Ideal des Lebens gäbe voller Gender und Neusprech. Das hört dann bei Hartz 4 auf, das da nicht vorkommt mit sozialer Sippenhaft, die nun Bedarfsgemeinschaft heißt. Das ist alles grundgesetzwidrig und zeigt mir sofort, wie tief Nazidenken bis heute verwurzelt ist. Aber wer merkt das?

Leonard Freeds Fotos sind ein guter Spiegel, um die Wirklichkeit heute klarer zu sehen und gerade heute zeigt er das, was fast nicht mehr direkt zu sehen ist aber fast überall dominiert bei denen, die älter als 30 sind.

So hat der Steidl-Verlag ein gutes Buch noch einmal neu aufgelegt, das mehr zu bieten hat als man in Worte fassen kann.

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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