Dokumentarfotografie und urban landscape – Lenstrip in Lennep

Urbane Landschaft, Privatisierung und öffentlicher Raum in der Fotografie – Ein Beitrag zur Praxis aktueller Dokumentarfotografie zwischen Dokumentation und Kunst

Lennep ist ein Stadtteil von Remscheid und war ursprünglich selbst eine kleine Stadt.

Lennep bietet sich als Beispiel an, um Zusammenhänge zwischen öffentlichen und privaten Räumen, sozialer Praxis und sozialem Handeln und Veränderungen anhand fotografischer Praxis zwischen Dokumentation und Kunst zu zeigen.

Die Darstellung von Macht und  Einfluß im öffentlichen Raum

Ist öffentlicher Raum bzw. städtischer Raum (urban space) ein neutraler Container für soziale Beziehungen oder eine Manifestation von Macht und Kontrolle? Diese Frage diskutierte Alex Baker anläßlich einer Ausstellung im Museum of Contemporary Art San Diego. Untertitel war „A Dialogue with the urban Landscape“.

In diesem Text hier geht es um diese Fragen am Beispiel Lennep.

Wenn wir uns Lennep anschauen, dann wird zunächst deutlich, wie aktuell öffentliches Gelände für private Zwecke verkauft worden ist. Ziel ist das DOC, ein Outlet-Center, welches Kunden von nah und fern anlocken soll. Fest steht, daß der öffentliche Raum, der den Menschen zur Verfügung steht, dort wesentlich verkleinert wurde und eine neue private Zone geschaffen wurde, die nicht mehr wie bisher von allen genutzt werden kann.

Das Thema und den Konflikt kann man fotografisch sehr schön darstellen ohne viele weitere Worte:

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Die Politik hat sich für das DOC und gegen die bisherigen Strukturen entschieden. Inwiefern die Arbeitsplätze und die Kaufkraft genau so vereinbart wurden wie der Verkauf der Flächen ist Sache der Politik.

Hier geht es um die Folgen im öffentlichen Raum. Wenn öffentliche Räume und Flächen privatisiert werden, hat dies natürlich Verhaltensänderungen der Menschen zur Folge, weil bestimmte Treffpunkte wegfallen, andere räumliche Verhältnisse geschaffen werden, Traditionen und historische Plätze verschwinden etc. Der Soziologe Michael Beetz hat das einmal so ausgedrückt:

„Wer im öffentlichen Raum unterwegs ist, der sieht sich ständig mit einer mehr oder weniger feinsinnigen Symbolik konfrontiert, welche soziale Orte definiert, Grenzen markiert und die gangbaren Wege aufzeigt…. die lokale Umgebung beinhaltet über ihre rein physikalischen Eigenschaften hinaus durchweg symbolische Qualitäten…. Der tägliche Spaziergang mit dem Hund, das regelmäßige Aufsuchen von Veranstaltungsorten… von Kneipen oder Parks bezeugen die Zugehörigkeit zur Szene, zum Kiez, zur Heimat. Mit dem lokalen Lebensraum kann man durchaus verschmelzen, ohne ihn damit zu okkupieren. Andererseits bleibt manch einer auch nach dem Erwerb eines Grundstücks oder der Besetzung einer Stelle in sozialer Hinsicht ein Fremder. In Kleinstädten wird man in der Regel ein Leben lang als Zugereister gelten.“

Der öffentliche Raum ist also materiell und sozial gestaltet. Und im Fall von Lennep ist die sozial vorhandene Landschaft durch diese Entscheidung mit ihren Traditionen und Rhythmen erheblich – wenn nicht wesentlich –  verändert worden. Die bisherige Psychogeografie fällt dadurch praktisch weg.

Ob das gut oder schlecht ist oder ob es der heutigen Mentalität entspricht, ist hier nicht die Frage sondern lediglich das Aufschreiben dieser Entwicklung.

Die Gestaltung der Lenneper Altstadt

Der zentrale Bereich im öffentlichen Raum in Lennep ist die Altstadt. Diese ist quasi das öffentliche bzw. das Außenbild, das für Lennep als Hansestadt steht und für emotionale Lebensqualität.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Das kann man ja auch fotografisch sehr schön festhalten, wenn man die mit vielen Investitionen modernisierte Stadtlandschaft sieht, die die alten Elemente wie Schiefer und Fachwerk äußerlich beibehalten hat.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Hier symbolisiert die Architektur Eigenschaften wie Ruhe, Gemütlichkeit, Engagement und vieles mehr.

Privatisierte Zonen

Wo der öffentliche Raum verkauft wurde und der Profit nicht stimmte, sieht das alles anders aus:

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Das ist keine 100 Meter von der Altstadt entfernt und ein Areal, an dem die Bürger nicht zugelassen sind. Noch mal. Ich will hier nur die Realität beschreiben, damit man versteht, was Fotografie in solchen Fällen leisten kann. Ich finde das Foto übrigens auch sehr passend. Denn der Zaun davor soll alle Menschen davon abhalten, dieses Gelände zu betreten. Daher habe ich die Zacken auch dominant in das Foto gerückt. Und alles dahinter ist leer und menschenleer.

An dieser Stelle kommt die „Street Art“ hinzu. Alex Baker weist in seinem Text darauf hin, daß es Street Art gibt „on and about“ urban places. Dies bedeutet, man kann Kunst im öffentlichen Raum  an und auf der Straße erstellen oder den öffentlichen Raum als Thema (about) nutzen.

In Lennep haben Menschen, die dort leben oder waren, in jedem Fall reagiert und aus einer Betonzone Street Art gemacht.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Zugleich ist dies (alles) Ausdruck einer sozialen Landkarte, denn hier zeigen sich soziale Reaktione auf vorhandene Architektur und Raumaufteilung.

Es gibt natürlich mehr Streetart aber beispielhaft soll dies hier genügen.

Die Einbettung von Architektur und Streetart in einen fotografischen Rahmen ist dann übrigens art about, also Kunst mit dem Mittel der Fotografie zum Thema urbaner Raum und soziales Leben.

Im Englischen spricht man auch von radical art, weil es sich um Kunst handelt, die nicht für sich steht sondern eine Reaktion auf soziale Erlebnisse ist und bei Ihnen, den Konsumenten oder Zuschauern, etwas bewirken will.

So ist dieser Artikel gewissermaßen Art about on street and public space – um eine englische Wortspielerei zu betreiben.

Hier könnte dieser Artikel enden.

Allerdings möchte ich ihn um eine Dimension erweitern, weil es fotografisch noch mehr auf dieser sozialen Landkarte zu sehen gibt und ein Thema neu (2015) hinzugekommen ist.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Dieses Foto ist im Hardtpark aufgenommen worden, ein paar Meter von dem vorherigen Foto entfernt. Es zeigt eine harmonische Grünlandschaft mit einem sauberen Mülleimer, der sauber besprüht ist, allerdings u.a. mit einem Nazisymbol, dem Hakenkreuz. Hier spiegelt sich aktuelle Politik wieder und u.a. auch die aktuellen sozialen Entwicklungen in Lennep.

Die soziale Landschaft von Lennep ist also mehrdimensional und Fotos können dokumentieren, was vor sich geht und was welche Reaktionen nach sich zieht. Architektur und soziale Interaktionen hängen zusammen aber die Gestaltung von öffentlichen Räumen und die Privatisierung von öffentlichen Flächen hat erhebliche Folgen und verändert, reduziert oder erweitert die sozialen Möglichkeiten.

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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