2013 – das Jahr der Propaganda in der Fotografie

2013 ist ein sehr interessantes und sehr politisches Jahr. Und es ist ein Jahr voller Fotos im öffentlichen Raum und in der Öffentlichkeit. Da wir dieses Jahr eine Bundestagswahl haben, werden irgendwann die Plakatwände mit Fotos und Propagandatexten aufgestellt werden.

Aber das ist in diesem Jahr nicht alles. Das Thema Arbeit und Alter wird jetzt nochmals und viel massiver mit Fotos im öffentlichen Raum und mit Videos im Internet dargestellt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat dazu viele Videos drehen lassen und versucht, die Themen Erhöhung des Rentenalters und das Thema Zuwanderung den Menschen schmackhaft zu machen. Dazu bedienen sie sich der „Wissenschaft“, um sich einen seriösen Anstrich zu geben. Doktoren und Professoren äußern sich – mehr sag ich dazu nicht (bitte verzeihen Sie mögliche Ironie).

Dies alles gibt es zusammengefasst auf  der Webseite www.demografische-chance.de und darüber hinaus überall in Deutschland auf Litfaßsäulen und Plakatwänden.

Die Webseite ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie die Demografie dafür missbraucht wird, um eigene politische Interessen durchzudrücken. Das möchte ich Ihnen mit dem folgenden Foto erläutern. Denn die Realität ist konkret.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Das Foto ist im März 2013 auf der Bismarckstrasse (!) in Remscheid aufgenommen worden.

Sie sehen auf dem Foto im Hintergrund einen Obst- und Gemüseladen mit Fleischtheke und Konserven. Ein Zeichen für gelungene Integration würden wohl Sozialpolitiker sagen. In direkter Nähe befindet sich noch ein kaufpark, 300 Meter darunter ein riesiger kaufland und 200 Meter darüber ein netto.

Im kaufland, netto und kaufpark sitzen an den Kassen ebenfalls sehr viele Menschen mit russischen, polnischen oder türkischen Namen, die alle gut deutsch sprechen. Darüber hinaus ist der Dienstleistungsbereich mit Essen, Maniküre und Massage dominiert von der asiatischen Kultur.

Es gibt gelebte Toleranz und Normalität, die wahrscheinlich weiter ist als die Programme des Wissenschaftsjahres demografische-chance.de.

Nun werden auf der Webseite drei Sätze formuliert:

  1. Wir leben länger
  2. Wir werden weniger
  3. Wir werden vielfältiger

Schauen wir da mal drauf, weil das ja auch die unterschwelligen Botschaften auf den Plakaten sind.

1. Wenn Sie nun auf den oberen Mann in der Litfaßsäule schauen, dann sehen Sie, dass er ein Plakat hochhält auf dem steht, daß Ältere auf dem Arbeitsmarkt unverzichtbar sind. Dem würde man so zustimmen können unter bestimmten Bedingungen. Aber wußten Sie auch, dass der Mann Vaupel heißt und erklärt dass wir erst mit 72 in Rente gehen sollen? Der Mann behauptet sogar, dass wir 100 Jahre alt werden. Hört sich gut an. Dahinter steckt nichts anderes als der Versuch, den Menschen die Rente mit 67 als nicht so schlimm und gut schmackhaft zu machen. Aber dass die Menschen über 50 kaum gute Jobs bekommen und die Politik keine Gesetze gemacht hat, die das regeln, sondern nur ein Gesetz gemacht hat, welches das Rentenalter raufsetzt – davon ist hier keine Rede. Und wenn Sie sich damit abfinden und bis 67/69 arbeiten und dann das Pech haben mit 68/70 zu sterben, dann können Sie dafür niemand mehr zur Verantwortung ziehen. Die, die uns das eingebrockt haben, sind schon mal mit 55 in den Vorruhestand gegangen (außer den Professoren und Politikern, die ihre Tätigkeit mit Arbeit verwechseln).

2. Nun kommen wir zu dem Satz, wir werden weniger. Was ist daran schlimm? Was wäre daran so schlimm, wenn in Deutschland nur noch 75 Millionen Menschen leben? Gar nichts. Das ist auch schon sehr seriös untersucht worden. Aber das wird natürlich nicht gesagt, weil man dann auch anders über das Thema diskutieren könnte. Probleme gibt es nur, wenn alles so bleibt wie es ist. Wenn Beamte die Altersversorgung weiterhin geschenkt bekommen, wenn es keine hohen Mindestlöhne gibt usw.

3. Wir werden vielfältiger. Der Bau von Moscheen in kleineren Städten nach der Restaurierung der Synagogen ist ein neues Merkmal für unsere Gesellschaft. Aber: Unsere Kultur beruht auf christlichen Traditionen. Während früher Kirche und König eins waren, haben wir über Jahrhunderte ein heute dominierendes freiheitliches Denken entwickelt, welches die Trennung von Staat und Religion zuläßt. Es ist ein christlich-abendländisches Denken, das die Voraussetzung für unsere Toleranz ist. Daher ist das Christentum hier auch zurecht die privilegierte Religion. Das Grundgesetz baut darauf auf und regelt dann, dass keine religiösen Gesetze gelten sondern aufgeklärte nicht-religiöse Grundrechte die Basis für alle weiteren Entscheidungen sind. Wir regeln die vorletzten Dinge, Religion ist Privatsache. Das ist die Grundlage unseres Zusammenlebens und die Voraussetzung für die Vielfalt in Deutschland.

Man könnte zu allen Themen mehr schreiben. Ich denke aber, es ist genug. Ich wollte nur deutlich machen, wie unter dem Mantel der Demografie völlig andere Themen versteckt werden. Und dies alles wird hinter bunten Fotos versteckt. Und das ist der Grund, warum dies alles hier als Artikel erscheint.

Wir werden also in diesem Jahr noch viele schöne Fotos sehen und viele schöne Dinge hören, die positive Gedanken in uns auslösen sollen durch die Bildsprache und durch die Wörter. Aber man darf es nicht einfach glauben sondern muß es hinterfragen.

Es ist in gewisser Weise die Wiederkehr der Fotografie als Waffe.

Nachtrag drei Jahre später:

Drei Jahre später – 2016 – behauptet die Regierungspropaganda nicht mehr, wir könnten im Schnitt 100 Jahre alt werden, sondern das Statistische Bundesamt teilt mit, diejenigen, die dieses Jahr geboren werden, könnten im Schnitt 80 Jahre alt werden.

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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