Great Britain 1964 bis 1984 von Jürgen Schadeberg

Jürgen Schadeberg begegnete mir als Thema immer wieder. Bei mehreren Zusammenkünften mit Fotojournalisten, in diversen Ausstellungen und in Gesprächen. So war ich sehr neugierig auf das Buch „Great Britain 1964-1984“ aus dem Mitteldeutschen Verlag.

Wenn man dem letzten Link folgt, dann kann man schon einige Rezensionen über dieses Buch lesen. Mir hat dieses Buch gefallen, weil es spontane und geplante Reportagefotografie ist, die viele kleine Zustände der damaligen Zeit festhält.

Ich war zu Beginn der 80er Jahre in London und habe viele Dinge wiedererkannt, die man damals im Vorübergehen gesehen hat und die irgendwie noch vorhanden waren.

Genau das macht einen besonderen Reporter aus: Dinge festzuhalten über die andere hinwegsehen, weil sie aktuell und selbstverständlich sind.

Dies macht auch den Reiz dieses Fotobuches aus. Es ist ein Thema, das eher für eine kleine Zahl von Menschen interessant ist. Es ist ein Stück fotografierte Welt, die durch das Fortschreiten der Zeit heute zu einem fotogeschichtlichen Buch geworden ist. Es zeigt die Art zu fotografieren von Jürgen Schadeberg und es zeigt die Menschen, wie sie sich zeigten, zu der damaligen Zeit an den Orten seiner Aufnahmen.

Es ist immer leicht, ein Buch oder einen Fehler im Buch zu kritisieren. Dieses Buch von Jürgen Schadeberg hat aber Aufmerksamkeit verdient, weil es Dinge zeigt, die im Spiegel der heutigen Zeit uns viel zu erzählen haben.

Man könnte fast auf den Gedanken kommen, mit dem Buch nach Großbritannien zu reisen und dort einige der fotografischen Stationen noch einmal zu besuchen. Aber dafür muß man wahrscheinlich Reporter sein.

Das Buch mit vielen Auszügen ist ebenfalls bei spiegel.de großzügig dargestellt worden. Das hat meiner Einschätzung nach auch etwas mit der Reputation von Jürgen Schadeberg in Fotoreporterkreisen zu tun.

So ist dieses Buch erstens ein interessantes fotografisches Dokument. Aber ich möchte noch zwei andere Gründe erwähnen, die für dieses Buch sprechen.

Zweitens hatte ich vielfach den Eindruck, dass Jürgen Schadeberg öfter Szenen fand, die sehr an die klassischen Aufnahmen der ersten Streetfotografen erinnern, in Kneipen, auf Bänken, auf der Strasse und in sehr speziellen Situationen. Aber eben so fotografiert, wie ein Jürgen Schadeberg fotografiert.

Und drittens hat er in dieser Tradition die damaligen Veränderungen von der Individualisierung zur Vermassung gut aufgezeichnet. Man sieht das Beispiel des Flughafens, der überquillt. Man sieht aber auch die Ikonen des Siegeszuges der modernen Technik. Viele Musiker sind ja nicht deshalb so berühmt geworden, weil sie so einzigartig gute Musik machten, sondern weil sie die ersten waren, die die Vermassung der Musikproduktion nutzen konnten. So werfen die Fotos auch Blicke auf Dinge, die erst im Nachhinein eine Bedeutung hatten.

Und genau diese drei Dinge machen das Buch aus meiner Sicht besonders reizvoll.

Jürgen Schadeberg
Great Britain 1964-1984
Fotografien – Photographs
Deutsch/englisch

ISBN 978-3-89812-853-7

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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