W. Eugene Smith von Britt Salvesen, Enrica Vigano

Deleitosa – die Foto- und Textreportage über das spanische Dorf zog mich in ihren Bann und ließ mich nicht mehr los. Anders kann ich den Weg in dieses Buch nicht beschreiben. Wer es aufschlägt und mit dem Lesen und dem Betrachten der Fotos beginnt, der wird es nie mehr aus seiner Erinnerung streichen können.

Das im Kehrer Verlag erschienene Buch zum Werk von W. Eugene Smith ist eine souveräne Konzeption, die die Fotos und Texte und den Menschen W. Eugene Smith dem heutigen Publikum zeigt. Die Fotos und Texte sind so aktuell und so spannend, dass sie Menschen, die Einfühlungsvermögen besitzen, unversehens in ihren Bann ziehen.

Waren Sie schon einmal in Spanien, auf Mallorca oder auf dem Festland? Wenn sie die Reportage über „Das Spanische Dorf“ gelesen haben, werden sie auch das heutige Spanien mit anderen Augen sehen.

Interessanterweise zitiert Enrica Viganò, der Kurator, in seinem Aufsatz den Autor Philippe Halsman mit dem Satz: „Cartier-Bresson registriert die Wahrheit. Gene Smith schafft seine eigene.“

Und dann landet er bei Smith selbst und zitiert ihn mit dem Satz: „Ich habe mich nie damit begnügt, ein Fotograf zu sein, der die Ereignisse bloß registriert. Ich glaube vielmehr, dass es mir in meinen besten Arbeiten gelingt, das Besondere einer Situation abzubilden und das Universale symbolisch auszudrücken.“

Er führt dann in Anlehnung an Serge Tisseron den Begriff der „emblematischen Fotografie“ ein, die weit über die Betrachtung hinausgeht.

Dann kommt W. Eugene Smith selbst mit einer autobiografischen Erklärung zu Wort. Und dann sprechen seine Fotos und Reportagen.

Das Buch schenkt dem Menschen und dem Werk neues Leben. Und es ist ein Geschenk für unsere Zeit, denn es zeigt, dass die intensive Reportage in schwarz-weiß nicht durch die Farbfotografie abgelöst werden kann. Farbe ist anders und Texte werden zeitlos, wenn sie gut sind.

Dem amerikanischen Publikum war W. Eugene Smith lange bekannt, er war dort einer der bekanntesten Fotografen. Aber hier ist er wohl nur in Fachkreisen bekannt gewesen. Neben dem Werk kommt auch der Mensch zum Vorschein und wir erleben die Tragödie und die Absurdität der menschlichen Existenz, die  uns auf unsere eigene Weise alle betrifft.

In einer Zeit ohne Geschichte bringen Bücher wie dieses das Verhältnis von Geschichte zur Gegenwart zurück. Die beeindruckenden Reportagen führen zudem dazu, dass man heute automatisch überlegt, ob es Ähnliches nicht heute auch zu finden gibt.

Denn W. Eugene Smith hat seine beeindruckendsten Reportagen (in diesem Buch) in unserem Alltag gefunden. Er ging dort hin, wo andere zur Arbeit gehen oder leben. So geben seine Fotos uns einen Spiegel über unser Leben in diesen Zeiten.

Und wir – zumindest ich – sehe(n), dass die grossen Reportagen letztlich vom Auge und Einfühlungsvermögen des Reporters (mit Foto und Text) und von den Massenmedien (Publizierung) abhängig sind.

Mit diesen Gedanken versuche ich schon den Transfer in die heutige digitale Welt. Es ist eben ein wirklich inspirierendes und in den Bann ziehendes Buch.

Wer etwas für seine fotografische Entwicklung haben möchte oder ein wirklich gutes Geschenk sucht, der findet mit diesem Buch eine gute Antwort.

So will ich enden mit einem Zitat von W. Eugene Smith, das mir gefällt: “Ich denke, dass Fotojournalismus Dokumentarfotografie mit einer bestimmten Absicht ist.”

 

W. Eugene Smith

Autoren: Britt Salvesen, Enrica Vigano, W. Eugene Smith
Künstler: W. Eugene Smith

ISBN 978-3-86828-255-9

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert